ZWM Alumnae & Alumni Stories Folge 1 Dr. Muriel Helbig

Dr. Muriel Helbig hat zwischen 2006 und 2008 am Lehrgang für WissenschaftsmanagerInnen am Zentrum für Wissenschaftsmanagement in Speyer teilgenommen. Nach einem Studium der Psychologie in Potsdam und ihrer Promotion im Fach Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena führten Stationen an der Universität Jena und der Bauhaus-Universität Weimar sie 2014 in ihre jetzige Funktion als Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck, seit 2020 ist sie zudem Vizepräsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD. Bis 2021 war sie Mitglied im Sprecherkreis der Hochschulen für angewandte Wissenschaften in der HRK und Vorstandsmitglied in der Hochschulallianz für den Mittelstand.

Frau Dr. Helbig, was hat sie damals zum ZWM als Anlaufstelle für Weiterbildung gebracht?
Nach der Promotion wurde ich Koordinatorin eines internationalen DFG-Graduiertenkollegs. Einmal im Jahr trafen sich die SprecherInnen und KoordinatorInnen. Auf der Bahnfahrt zu diesem Treffen habe ich einen Zeitungsartikel über Frauen in Führungspositionen gelesen. In diesem Artikel wurde das Phänomen beschrieben, dass Frauen in Sitzungen weniger Redeanteile hätten und dreimal länger überlegten, bevor sie sich zu Wort melden. Oder eben nichts sagen und dadurch auch weniger wahrgenommen würden. Auf dieser Bahnfahrt habe ich mir vorgenommen: Das passiert Dir heute nicht. Und saß dann also in dieser großen Runde mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und meldete mich zu Wort, quasi als Versuchsballon. Auf diese Wortmeldung hin wurde ich direkt in einen Workshop gebeten und dort wiederum war jemand aus der DFG anwesend, der mich in den Lehrgang für WissenschaftsmanagerInnen in Speyer einlud, den die DFG dann sogar finanziert hat. Das war großartig und sozusagen in mehrfacher Hinsicht ein wichtiger Karriereschritt: Auf der einen Seite hat es mich zum ZWM-Basis-Lehrgang gebracht, den ich als äußerst wertvoll empfunden habe. Zum anderen war das ein sofortiger Beweis für die These, dass es sich lohnt, sich zu melden, wenn man etwas zu sagen hat. Das wurde mir auch nicht in die Wiege gelegt, das musste ich bewusst einüben. Und heute gebe ich diese Erfahrung weiter.

Zurück zum ZWM: Ich bin also gar nicht selbst auf die Idee für den Lehrgang gekommen, ich habe damals nicht aktiv nach einer Weiterbildung gesucht. Tatsächlich bin ich heute immer noch dankbar für diese Gelegenheit und habe mir von damals eine tiefe Verbundenheit zum ZWM erhalten.

Wenn sie die Rolle des ZWM im und fürs Wissenschaftssystem von heute aus charakterisieren sollten, wie würden Sie das einem Novizen im Wissenschaftssystem erklären?
Ich würde sagen, das ist die Institution, die mit als erste erkannt hat, dass Wissenschaftsmanagement Beruf ist – ein Beruf, der eine eigene Qualifizierung und eine Professionalisierung braucht, und sich das zur Mission gemacht hat.

Was würden Sie EinsteigerInnen ins Wissenschaftsmanagement generell mit auf den Weg geben, würden Sie wichtige Weiterbildungs-Elemente weiterempfehlen?
Es sind zwei Sachen, die ich mitgeben möchte. Zum einen: Niemand wird perfekt für den Job geboren, und man ist es auch nach Ausbildung oder Studium noch nicht, wird es vermutlich nie. Eine Unsicherheit in großen beruflichen Runden, wie ich sie anfänglich beispielsweise hatte, ist viel weiterverbreitet als man denkt, aus welchen Gründen auch immer. Aber- zweitens: Den Umgang damit und mit jeglicher anderen individuellen „Schwachstelle“ kann man lernen und sollte man auch. Lebenslanges Lernen, Weiterbildung, das bleibt auf jeder Stufe der Karriereleiter relevant.

Was die Weiterbildung für junge WissenschaftsmanagerInnen angeht: Für mich war der Lehrgang in Speyer enorm wichtig. Ich fand das Programm extrem gut, es gab einige wenige Abstriche. Aber selbst die waren wichtig, weil zum Wissenschaftsmanagement ja auch vielfach gehört, dass man selbst Veranstaltungen organisiert, konzipiert, durchdenkt, nach ReferentInnen oder ModeratorInnen oder Keynotes und so weiter sucht. Da ist es von großem Nutzen, gute wie auch weniger gute Beispiele kennenzulernen. Den Lehrgang würde ich auch heute weiterhin unbedingt empfehlen.

Ansonsten würde ich zum Thema Weiterbildung vor allem empfehlen, dass man sich Zeit dafür nimmt und dem auch wirklich eine Priorität einräumt. Also: Wenn man einen neuen Job anfängt, dann gleich mit reinverhandeln, dass Weiterbildung gern gesehen ist und unterstützt wird. Wir in Lübeck handhaben das auch so. Es gibt ja beispielsweise bei befristeten Stellen die Tendenz, Weiterbildung nicht oder nicht am Anfang anzubieten. Dafür habe ich wenig Verständnis, weil ich finde, gerade bei befristeten Stellen muss man den Personen die Gelegenheit geben, sich weiterzubilden und damit auf die nächste Stelle vorzubereiten. Ich halte Weiterbildung für ein extrem hohes Gut.

Wie hat sich Ihr damaliges Netzwerk von KommilitonInnen auch über die darauffolgenden Jahre hinweg gehalten und weiterentwickelt?
Ich denke, dass die Vernetzung und vor allem, sich so lange Zeit mit diesem Berufsfeld auseinanderzusetzen, eine wichtige Orientierung schafft. Das Netzwerk, das sich im Lehrgang gebildet hat, fand ich hilfreich und hat lange gehalten – bis heute als lose Basis von KollegInnen, wo ich auch nach wie vor grob weiß, wo sie sind und was sie tun und wen man anrufen könnte.

Welche Inhalte konnten Sie besonders gut verwenden, welche vermittelten Fähigkeiten sind Ihnen heute noch sehr von Nutzen?
Was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist tatsächlich das Thema Kommunikation und Teambuilding – und zwar, weil ich mir sehr viel Mühe gegeben habe zu verhandeln, dass ich zu diesem Teil der Fortbildung nicht hin muss. Ich fand ihn für mich vollkommen überflüssig, doch das ZWM hat dankenswerterweise nicht mit sich verhandeln lassen. Also bin ich mit mäßig viel Motivation hingegangen. Und dann war ausgerechnet das der Teil der Weiterbildung, der mir am meisten im Gedächtnis geblieben ist. Das Training hat wirklich etwas in mir bewegt.

Bei unserem ersten Teambuilding-Projekt sollten wir uns vorstellen, wir wären schiffbrüchig, müssten ein Floß bauen und uns gemeinsam auf eine Insel retten. Wir haben uns fürchterlich in die Wolle bekommen und ich erinnere mich, dass ich gedacht habe [lacht]: Lieber würde ich ertrinken, als mit diesen Menschen auf einer einsamen Insel zu landen! Das sind übrigens die Leute geworden, mit denen ich hinterher am längsten noch Kontakt hatte.

Uns ist aufgezeigt worden, an welchen Stellen wir – trotz eines klaren gemeinsamen Ziels! – gescheitert sind, und das war so lehrreich. Kommunikation und Teambuilding ist überhaupt kein „Gedöns“ und auch nichts, was man entweder kann oder nicht kann, sondern was sich lernen und üben lässt. Und was man in unserem Beruf nicht nur jeden Tag, sondern jede Stunde braucht: Ich muss ja ständig mit unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Anliegen und Interessen zusammenarbeiten und zu einer Lösung kommen. Wenn ich da nicht einen Hauch von Ahnung habe, wie Missverständnisse entstehen, wie Kommunikation funktioniert, wie ein Team aussieht, was ich selber für eine Idee habe von Führung, dann mache ich es gerade in einer Führungsposition mir selbst und allen um mich herum verdammt schwer.

Allerdings würde ich jetzt nicht sagen, da habe ich in Speyer etwas gelernt, was ich heute als konkrete Technik noch anwende. In Speyer wurde der Grundstock dafür gelegt, dass ich wusste, damit werde ich mich mein Berufsleben lang beschäftigen wollen und müssen, damit werde ich auch nie fertig sein. An der TH Lübeck setzen wir uns im Präsidium regelmäßig mit professioneller Unterstützung mit unserer Zusammenarbeit auseinander. Seit ich damals im ZWM „ertrunken bin auf dem Weg zu einer rettenden Insel“ [lacht], habe ich das verinnerlicht. Übrigens: Die Referentin von damals habe ich später selber für Veranstaltungen engagiert – das  ist auch so ein Netzwerk, das entsteht.

Gab es noch mehr derartige Highlights?
Man ist ja nach so einem Lehrgang nicht fertig, sondern dieser Lehrgang teasert viele unterschiedliche Themenfelder an. Ich glaube, jede und jeder von uns hat sich etwas anderes rausgepickt, was man braucht und dann später weiter vertieft. Für mich war’s beispielsweise erst mal die Erkenntnis, dass das Wissenschaftsmanagement ein viel breiteres Betätigungsfeld ist, als ich ursprünglich gedacht hatte. Und: Der Lehrgang hat mein Vorurteil gegenüber juristischen Texten völlig entkräftet. Ich wusste nicht, wieviel Spaß diese machen können. Die Dozierenden in Speyer haben uns vermittelt: Das sind Texte, die Euch auch als Nicht-Juristen zustehen. Und uns gezeigt, wie sie aufgebaut und zu lesen sind. Das ist für mich heute natürlich weiterhin unglaublich relevant: Wenn ich keine Lust hätte, in das Hochschulgesetz oder eine Lehrverpflichtungsverordnung zu gucken, dann wär’s echt schwierig. Das hat Speyer auch sehr, sehr gut gemacht.

Was sind die erfüllendsten Momente für Sie in Ihrer jetzigen Tätigkeit – ob man das jetzt als Flow bezeichnen möchte oder einfach, wo man sagt „Mensch, wenn ich an Weihnachten oder an Silvester das Jahr noch mal so Revue passieren lasse, das waren Highlights.“
Besondere Momente sind zum Beispiel, wenn wir die neuen Studierenden begrüßen, wenn wir AbsolventInnen verabschieden oder wenn wir die besten Abschlussarbeiten küren. Schließlich sind Studierende die Gruppe, um die es an den Hochschulen vorrangig geht – es geht darum, dass wir die nächste Generation qualifizieren, gemeinsam Wissen erarbeiten und es weitergeben. Wenn man so wie ich die Studierenden jedoch nicht regelmäßig in Lehrveranstaltungen, sondern beispielsweise nur im Jour fixe oder in Gremiensitzungen sieht, dann ist der Moment, in dem sie mit ihren Familien bei einer Feier zusammenkommen und ihr Zeugnis in die Hand nehmen, ein echtes Highlight. Da erinnert man sich, wofür man das alles macht.

Ich finde es ebenso eindrucksvoll, wenn wir im Team hart gearbeitet und dann etwas erreicht haben. Das können ganz unterschiedliche Projekte sein, manchmal auch banale Dinge: Eine Veranstaltung gut über die Bühne gebracht zu haben. Nach einem Jahr Prozess die Hochschulstrategie im Senat zu verabschieden. Wenn man an vertrackten Sachen sitzt und sich der Knoten löst – das hatten wir beispielsweise, als wir letztes Jahr über ein neues Finanzierungsmodell grübelten. Solche Momente, in denen man sich dann als Team zusammen freut. Erfüllende Momente gibt es manchmal auch alleine, wenn ich beispielsweise eine Rede rund bekommen habe oder den richtigen Riecher für ein Thema hatte, was es in die Hochschule einzuspielen gibt. Doch meistens sind es die gemeinschaftlichen Erfolge. 

Was macht Ihr aktuelles Amt als spezifische Ausprägung einer Wissenschaftsmanagerin für Sie zum Traumjob?
Es ist wahnsinnig interessant, dass man einen Einblick darin bekommen kann, wie Gesellschaft so funktioniert. Man ist in viele Runden eingebunden oder zu vielen unterschiedlichen Veranstaltungen eingeladen, man ist verknüpft mit der Stadt, der Region, dem Land, dem Bund oder international in ganz vielen verschiedenen Gremien, Situationen, Terminen, Treffen und Themen und kann sich so vielfältig über den Hochschulalltag hinaus „austoben“ und spezialisieren oder verbreitern oder noch zusätzliche Einblicke gewinnen. Natürlich kann man sich da auch verrennen – man kann, wenn man will, jeden Abend auf einer Veranstaltung sein, doch allein diese Option zu haben, ist toll. Allerdings: Als „Person des öffentlichen Lebens“ läuft man wohl schnell Gefahr zu vergessen, dass man nicht eingeladen wird, weil man so ein netter Mensch ist, sondern zunächst mal, weil man eine Funktion innehat. Ich versuche, mir das für die Zukunft zu merken.

Ich würde ungern dieses Interview verlassen, ohne auf meine absolute Lieblingstätigkeit einzugehen, die mir mein Amt als Präsidentin der TH Lübeck erst ermöglicht hat: Die Vizepräsidentschaft beim DAAD. Dass Deutschland sich die weltweit größte Organisation für akademischen Austausch leistet, finde ich eine so kluge Entscheidung, die mich dankbar und ein Stückweit stolz macht, weil ich der Überzeugung bin, dass Internationalisierung und Bildung DIE Elemente sind, die wir brauchen, um die Zukunft zu gestalten. Bildung, Internationalisierung, Austausch und Interkulturalität sind zentral für unser zwischenmenschliches Verständnis und für die Wissensgeneration, die wir zur Lösung unserer Herausforderungen brauchen. Internationaler Austausch ist nicht immer einfach – gerade in aktuellen Zeiten ist es ja ein hartes Ringen: Wie gehen wir auch mit schwierigen Partnern um, wie mit gefährlichen Situationen und unterschiedlichen Werten? Das ist beileibe nicht nur fröhlich und leicht, sondern muss durchdacht geschehen. Doch dass Internationalisierung heute fester Bestandteil an Hochschulen ist und wir Teil von Science Diplomacy sind, finde ich – gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte – unglaublich wichtig.

Frau Dr. Helbig, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und die erhellenden Einblicke!

Das Interview führte Theo Hafner.

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